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Warum ein Berliner Coffeeshop Bargeld ablehnt

Warum ein Berliner Coffeeshop Bargeld ablehnt

Welt

 

Nur Bares ist Wahres: Diese alte Weisheit gilt in der deutschen Gastronomie nicht mehr. Jetzt lehnen die ersten Wirte sogar die Annahme von Bargeld komplett ab - und verzichten sogar auf das Trinkgeld.

Aus der aufblühenden Berliner Kaffeehaus-Szene sticht das „Ben Rahim“ in den Hackeschen Höfen mit einigen Besonderheiten hervor. Zur Kaffeekultur gehört hier zum Beispiel, dass es grundsätzlich keinen Zucker gibt. Ebenso ungewöhnlich für ein Café: Trinkgelder sind ausdrücklich nicht erwünscht.

Seit Kurzem macht das Spezialitätencafé durch eine weitere Eigenart auf sich aufmerksam. Die erschließt sich dem eintretenden Gast zunächst nur, wenn er eine längere englischsprachige Botschaft an der Tür entziffert. Frei übersetzt lautet sie: „Die Ressourcen unseres Personals sind wertvoll. Deshalb akzeptieren wir NUR KARTENZAHLUNG, damit sich das Team auf großartigen Kaffee und den Kunden konzentrieren kann und keine Zeit mit Bargeldzählen verschwendet.“

In Deutschland ist der Satz „Nur Bares ist Wahres“ Teil eines seit Äonen überlieferten Brauchtums im Einzelhandel. Es gibt zahllose Geschäfte mit „Cash only“-Schildern im Schaufenster, die jede Art von Kartenzahlung grundsätzlich ablehnen.

„Ben Rahim Coffee“ in Berlin Instagram-Bilder nur online!

Der Coffeeshop „Ben Rahim“ in den Hackeschen Höfen in Berlin-Mitte

Quelle: benrahimcoffee

Bei Ben Rahim ist es andersherum. Der gebürtige Tunesier gehört zu den ersten Gastronomen in Berlin, die Münzen und Banknoten überhaupt nicht mehr annehmen. Wer hier bestellt, muss seine Debit- oder Kreditkarte dabeihaben – oder gleich mit dem Smartphone oder der Apple Watch im Vorbeiwischen bezahlen.

Die ersten Erfahrungen mit dem bargeldlosen Café sind noch frisch, aber einen Trend kann Rahim schon ausmachen: Allzu viele Kunden hat er nicht verloren. Im Gegenteil: Die Umsätze steigen eher. Das allerdings kann auch darin liegen, dass gerade in den Hackeschen Höfen viele ausländische Touristen und junge, technikaffine Shopper unterwegs sind, für die bargeldloses Bezahlen längst selbstverständlich ist. „Seit der Umstellung auf Kartenzahlung“, sagt Rahim allerdings, „kaufen unsere Kunden tendenziell mehr.“

Tauscht sich der Barista mit anderen Kaffeehausbesitzern aus, werden sich alle über die Vorteile der bargeldlosen Welt schnell einig: Es fällt ein enormer administrativer Aufwand weg. Am Abend gibt es die langwierigen Abrechnungen mit den Angestellten nicht mehr. Das Zählen von Scheinen und Münzen entfällt.

Vorteile für den Gastronomen

Die Abrechnungen stimmen, kein Wirt muss fehlenden Beträgen hinterherforschen. Kein Wechselgeld muss mehr vorgehalten werden. Und die Gebühren, die Banken bei Bargeldeinzahlungen und insbesondere Hartgeld verlangen, spart man sich auch.

Gegen die Vielzahl der Vorteile, sagt ein Kollege Rahims, sind die Gebühren der digitalen Serviceprovider „ein Klacks“. Am Ende, sagt auch Rahim, „überwiegen für uns die Vorteile, weil wir uns auf das Wesentliche, nämlich unseren Kundenservice und die Qualität unserer Produkte konzentrieren können“.

Die Idee des No-Cash-Cafés findet in der gesamten Gastronomie zunehmend Nachahmer. Nach einer repräsentativen Umfrage des Instituts Innofact im Auftrag der Kreditkartenfirma Mastercard und des Kassensystem-Spezialisten Orderbird bieten jedenfalls schon 84,6 Prozent der Betriebe bargeldloses Bezahlen an – eine Steigerung um 11,9 Prozentpunkte gegenüber 2017.

Quelle: Infografik WELT

Mehr als 90 Prozent der Gäste finden, dass die Akzeptanz von Kartenzahlung heute einfach dazugehört. Zwar halten die Deutschen im internationalen Vergleich dem Bargeld besonders stark die Treue. Doch laut Umfrage haben sich 35,6 Prozent auch schon mal gegen einen Gastronomiebetrieb entschieden, weil dort keine Karten akzeptiert wurden.

Das war noch vor Kurzem ganz anders. „Vor einigen Jahren war das Bezahlen mit Kreditkarte für den Gastwirt noch viel zu teuer“, erinnert sich David Klemm, Vice President Business Development bei Mastercard: „So etwas brennt sich ein, und vor allem kleinere Betriebe nehmen daher auch heute noch keine Kartenzahlung an.“

Ein Fehler: Schließlich sind die Gebühren der Banken dank der EU-Regulierung stark gesunken. Die Interchange-Gebühr, die bei jeder Kartenzahlung im Handel fällig wird, ist heute auf 0,3 Prozent des Umsatzes gedeckelt, erklärt Klemm: „Dadurch konnten wir auf der Akzeptanzseite in den letzten Jahren viele neue Partner hinzugewinnen, auch in der Gastronomie.“

Ein anderer Grund, warum einige Betriebe gern auf Barzahlung bestehen, ist krimineller Natur: So lässt sich Schwarzgeld leichter am Fiskus vorbeischleusen. Doch das dürfte bald schwieriger werden. Im kommenden Jahr tritt die sogenannte „Fiskalisierung“ der Kassensysteme in Kraft. Dann sind praktisch nur noch elektronische Kassensysteme mit einer zertifizierten technischen Sicherheitseinrichtung (TSE) erlaubt, mit der Daten sicher an das Finanzamt übertragen werden.

 

Auch gilt dann eine Belegpflicht. Das Manipulieren von Abrechnungen wird dann schwieriger. Dieter Moser vom Kassensystem-Spezialisten Orderbird glaubt, dass dann viele Gastronomen gleich ganz auf ein bargeldloses Kassensystem umrüsten werden. „Das könnte uns noch einmal einen kräftigen Schub geben.“

Das dürfte auch für das kontaktlose Bezahlen gelten. Gerade unter vielen jungen Leuten gilt es inzwischen als selbstverständlich, die Rechnung quasi im Vorbeigehen begleichen zu können, indem man mit Karte, Handy oder der Digitaluhr kurz über ein Lesegerät wischt.

Die dahinterliegende Technik der Near Field Communication (NFC) verbreitet sich laut Orderbird rasant. So hat sich allein von Januar bis August dieses Jahres die Anzahl der kontaktlosen Transaktionen mehr als verdoppelt. Waren im Januar noch 24,7 Prozent aller Transaktionen kontaktlos, zahlte im August 2019 schon fast jeder Dritte (31,9 Prozent) per NFC.

Im internationalen Vergleich mögen die Deutschen zwar immer noch Kreditkartenmuffel und Bargeldfans sein. Aber die neue Möglichkeit des kontaktlosen Bezahlens reißt offenbar Mauern ein. Inzwischen werden die kleinen Funkchips zum Bezahlen bereits in die Ärmel von Jacken und Hemden eingenäht, berichtet Mastercard-Sprecherin Juliane Schmitz-Engels: „Wir hatten auch schon erste Anfragen von Leuten, die sich den NFC-Chip in die Hand implantieren lassen wollten.“

Immer mehr junge Käufer wünschen sich, dass kontaktloses Bezahlen auch bei Kleinstbeträgen möglich sein sollte. Der Durchschnittsbetrag bei NFC-Zahlungen sank bereits auf den Durchschnittswert von 20,02 Euro. Im Januar vergangenen Jahres lag er noch bei knapp 22 Euro.

Quelle: Infografik WELT

Für Beschränkungen wie: „Kartenzahlung erst ab zehn Euro“ hat die junge Generation entsprechend kein Verständnis mehr. In der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen ist fast jeder Zweite der Ansicht, dass ein Mindestbetrag bei Kartenzahlung nicht mehr zeitgemäß ist.

Wenn auch immer mehr Kunden die Möglichkeiten des digitalen Bezahlens annehmen: Für eine Ausgabe haben viele weiterhin lieber harte Münzen in der Tasche: fürs Trinkgeld.

Wird der Tipp digital abgebucht, so die Sorge, wandert die Summe beim Chef aufs Konto, und der freundliche Kellner geht leer aus. Auch die Mitarbeiter in der Gastronomie fürchten, weniger Trinkgeld zu bekommen, wenn die Kasse auf bargeldloses Bezahlen umgestellt wird.

Quelle: Infografik WELT

Laut Umfrage von Orderbird und Mastercard ist diese Sorge unbegründet: Demnach geben 86,4 Prozent der Gäste an, auch bei Kartenzahlung Trinkgeld zu geben. Zehn Prozent geben sogar etwas mehr, fast 13 Prozent allerdings etwas weniger, wenn das Trinkgeld per Karte oder Handy bezahlt wird.

Für viele Gastronomen ist die Trinkgeldfrage wichtig: Sie können nur deshalb Arbeitskräfte mit geringen Löhnen ködern, weil sie gleichzeitig mit der Aussicht auf üppige Trinkgelder winken.

Für Ben Rahim ist das allerdings keine Option: „Ich will Trinkgelder abschaffen“, sagt er. Der Berliner Coffeeshop-Besitzer hat es sich zum Ziel gesetzt, den Beruf des Baristas und Kellners vom Ruch des Almosen-Empfängers zu befreien und für einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert dieser Tätigkeit zu kämpfen.

Er zahlt dafür lieber deutlich höhere Löhne als der Durchschnitt der Branche. Sein Kaffee, sagt Rahim selbstbewusst, sei deshalb teurer als anderswo. Kunden habe er deshalb noch nicht verloren.

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